Glaubenssache

Kirchenkreis Burgdorf, 08. Juni 2024
Foto: Dethard Hilbig

Der Traum von Europa

Europa. Über 70 Jahre sorgte die europäische Gemeinschaft für Stabilität auf unserem Kontinent. Eine Erfolgsgeschichte. Doch seit dem russischen Überfall auf die Ukraine ist Vieles ins Wanken geraten. Putin droht mit dem Äußersten. Trump ermutigt Putin, mit der NATO zu machen, was er wolle. Das alte „Normal“ gibt es nicht mehr. Zudem greifen Rechtspopulisten Europa von innen an; sie wollen uns mit ihrem nationalstaatlichen und oft ausgrenzendem Denken Glauben machen, dass damit alles besser würde. Was nach den grausamen Weltkriegen späteren Generationen über viele Jahrzehnte Verständigung, Frieden und auch sozialen Ausgleich ermöglicht hat, droht zu verfallen. Der europäische Traum – ausgeträumt?

Die Geschichte des christlichen Glaubens in Europa hat auch mit einem Traum begonnen, durch den festgefügte Ordnungen und Grenzen überwunden wurden. Dem Apostel Paulus erscheint in einem nächtlichen Traum ein Mann aus Mazedonien. Er bittet ihn, nach Europa zu kommen. Paulus folgt diesem Traum, setzt über das Meer und überschreitet die Grenze nach Europa. Er kommt in die Stadt Philippi, sucht dort Menschen, die Gottesdienst feiern. Er findet sie an einem Fluss – Frauen, nicht Männer, wie es sich damals gehört hätte. Unter ihnen die Purpurhändlerin Lydia, eine Migrantin, eine Zugereiste. Wie Paulus selbst. Möglicherweise ist sie wohlhabend. Aber sie hält sich bei denen auf, die mit der schmutzigen und stinkenden Herstellung der Purpurfarbe beschäftigt sind.

Paulus sprengt die geltenden Regeln. Dass ein Mann sich derart zu Frauen gesellt, ging damals nicht. Auch die Zugehörigkeit Lydias zu einer fremden Volksgruppe spielt für ihn ebenso wenig eine Rolle wie soziale Unterschiede. Die Geschichte des christlichen Glaubens in Europa beginnt damit, dass Grenzen überwunden werden: zwischen Ländern, zwischen Mann und Frau, zwischen Volksgruppen und sozial Ungleichen.

Daran denke ich, wenn heute vom „Projekt Europa“ gesprochen wird. Ein alter Traum, der längst nicht ausgeträumt ist. Ein Traum, in dem Platz ist für ein menschliches Miteinander, das Grenzen überwindet, und in dem die Würde eines jeden Menschen geachtet wird.

Sabine Preuschoff
Superintendentin des Ev.-luth. Kirchenkreises Burgdorf

„Glaubenssache – Beiträge und Texte aus Kirche und Religion“ erscheint als Kolumne jeweils sonnabends im Marktspiegel für Burgdorf und Uetze, sowie im Marktspiegel für Lehrte und Sehnde. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den Kirchen schreiben Beiträge aus ihren Kirchengemeinden, Einrichtungen und Arbeitsfeldern, von ihren Erfahrungen und zu dem, was sie gerade beschäftigt.