Glaubenssache

Kirchenkreis Burgdorf, 22. März 2025
Foto: privat

Siehst du es denn nicht?

Der Untergang war verheerend. Tausende waren umgekommen. Das Gotteshaus: zerstört, geplündert. Sie hatten ihre Toten notdürftig begraben. Sie waren zu erschöpft gewesen, um zu trauern. In den notdürftig zusammengeflickten Ruinen hatten sie erstmal weitergelebt - mehr schlecht als recht.

Den Übriggebliebenen im zerstörten Jerusalem muss es in biblischen Zeiten wie ein Hohn vorgekommen sein, als nach dem Ansturm der Babylonier im Frühling des Folgejahres der erste Schmetterling auf dem eingefallenen Türsturz saß, als die Büsche Knospen bildeten und frisches Gras unbeirrt durch die Fugen der verrutschten Steine wuchs. Die Natur lässt sich durch menschliche Zerstörungswut nicht beirren. Und so flattern in diesem Jahr auch in Syrien oder in der Ostukraine die Schmetterlinge, gehen die Magnolien oder der Hibiskus auf.

Zu allen Zeiten ist es über den Verwüstungen der Menschheitsgeschichte immer wieder Frühling geworden.  Ganz gleich wie die Welt gerade spielt oder auch mein Leben gerade läuft: Es macht etwas mit mir, wenn ich im Frühling die erste Knospe sehe oder die Nachtigall zunächst verschlafen, dann immer kraftvoller zu kollern und zu trillern beginnt. Im Anblick der unverdrossenen ersten Knospen, mit dem Gesang der unverwüstlichen kleinen Sänger kann es erträglicher werden, mit dem Zerstörten zu leben.

Die jüdisch-christliche Bibel ist ein Frühlingsbuch. Sie leugnet Winter, Sturm und Dunkelheit keineswegs, sondern benennt die dunklen Winter des Lebens mit mutiger Ehrlichkeit. Trotzdem werden ihre Zeuginnen und Zeugen nicht müde, den Frühling zu erhoffen und zu verkünden mit großer Kraft. Sie und ihre Worte erinnern mich an die Kraft, die in einer jeden Knospe steckt oder in der Brust einer kleinen Blaumeise.

Der Prophet Jesaja ruft über den Trümmern des Lebens aus: „Ich will Neues schaffen, jetzt wächst es auf! Seht ihr es denn nicht?“ Gucken wir auf das, was wachsen und aufblühen will. In uns und um uns herum. Vielleicht kann es uns stärken für alles, was geheilt und mit Geduld wieder aufgebaut werden muss.

Am Karfreitag startet um 18.00 Uhr von der Kreuzkirche Sehnde ein meditativer Frühblüher-Kreuzweg durch das Ladeholz (ca 90 Minuten).

Damaris Frehrking
Pastorin der Ev.-luth. Gesamtkirchengemeinde Sehnde-Rethmar-Haimar

„Glaubenssache – Beiträge und Texte aus Kirche und Religion“ erscheint als Kolumne jeweils sonnabends im Marktspiegel für Burgdorf und Uetze, sowie im Marktspiegel für Lehrte und Sehnde. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den Kirchen schreiben Beiträge aus ihren Kirchengemeinden, Einrichtungen und Arbeitsfeldern, von ihren Erfahrungen und zu dem, was sie gerade beschäftigt.