Glaubenssache

Kirchenkreis Burgdorf, 21. Juni 2025
Pastorin Kirsten Kuhlgatz. Foto: privat

Vorsicht ansteckend

Morgens, halb 9 in Hannover. Er sitzt mir gegenüber in der Straßenbahn. Starrt auf sein Handy – wie die Mehrheit der Mitfahrenden. Und plötzlich beginnt er zu lachen. Fängt sich zwischendurch, aber er prustet immer wieder los. Ansteckend – fröhlich – natürlich.  Was er wohl gerade sieht in dem kleinen digitalen Ding, das ihn mit der großen Welt verbindet?
Ich schaue mich um. Die Frau neben ihm guckt verstohlen und verzieht ihre Mundwinkel leicht nach oben; auch andere wirken amüsiert. Leider muss ich gleich aussteigen. Gern hätte ich mich weiter anstecken lassen.

Jetzt geht’s erst einmal ins Krankenhaus – da ist das mit der Ansteckung eine ernste Sache. Wenn ich mich für das eine oder andere Gespräch im Krankenzimmer völlig vermummen muss, wird die Gefahr handgreiflich – manchmal für mich, manchmal für die Person im Bett.

Zwischendurch mein Blick auf’s Handy – natürlich will ich informiert sein. Sehe den Status einer Freundin, die neueste Einladung zu einer Veranstaltung der Gemeinde und lese die Schlagzeilen aus Politik und Gesellschaft. Dazu den neuesten Kommentar, damit ich die Nachrichten auch einordnen kann. Und abends noch die Tagesthemen, wenn’s geht. Ernste Themen, Uneinigkeit, mehr Fragen als Antworten, Machtmissbrauch. Das ist ansteckend depressiv, wenn ich nicht aufpasse.

Aufpassen? Wie denn? Nicht ins Krankenhaus gehen und die Tagesthemen streichen? Für mich in der Regel keine Option. Denn: Die Welt ist wie sie ist und ich will sie nicht nur halb wahrnehmen. Also gilt es, meine Immunität für den Fall der Fälle zu stärken und dann und wann die Perspektive zu wechseln. Mir gelingt das z.B. bei Musik. Und regelmäßig verordne ich mir Dankbarkeit für all das, was selbst in schweren Zeiten gut ist.

Und ich fahre weiter Straßenbahn. Vielleicht passiert’s ja mal wieder.

Kirsten Kuhlgatz
Pastorin der Ev.-luth. Kirchengemeinde Lehrter Land und Klinikseelsorgerin im KRH Siloah

„Glaubenssache – Beiträge und Texte aus Kirche und Religion“ erscheint als Kolumne jeweils sonnabends im Marktspiegel für Burgdorf und Uetze, sowie im Marktspiegel für Lehrte und Sehnde. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den Kirchen schreiben Beiträge aus ihren Kirchengemeinden, Einrichtungen und Arbeitsfeldern, von ihren Erfahrungen und zu dem, was sie gerade beschäftigt.