Anmerkung in schweren Zeiten
von Elvin Hülser, Geschäftsführer des Antikriegshauses in Siervershausen
Wir leben in einer Zeit, in der sich Konflikte, Krisen und Kriege auf bedrängende und grausame Weise beinahe täglich zu verschärfen scheinen. Es ist schwierig, in dieser Zeit die richtigen Antworten zu finden, Überzeugungen und vermeintliche Gewissheiten werden permanent auf die Probe gestellt. Fragen stellen sich neu und neue Fragen stellen sich. Dies ist in der Sache und intellektuell, aber auch emotional herausfordernd.
Wir vom Antikriegshaus versuchen, uns dem zu stellen. Das heißt auch, nicht immer allen – u.U. weit auseinandergehenden – Erwartungen zu entsprechen. Die Forderung eines einseitigen Gewaltverzichts, wie er teilweise von uns im Namen des Friedens und Pazifismus erwartet wird, ist nicht die unsere gegenüber einem auf Kriegseroberung setzenden Russland. Einseitiger Gewaltverzicht ist kein Frieden – und führt gegenüber einem Akteur, der einer Macht- und Gewaltlogik zu folgen scheint, auch nicht zum gerechten Frieden. Das ist keine Absage an Gespräche und Verhandlungen, aber eine Absage an eine Haltung, die den Charakter des russischen Regimes unter Putin unserer Ansicht nach verkennt. Deshalb können wir auch nicht mitgehen bei Aufrufen, die solch einseitige Schritte gegenüber Russland fordern und die diese mit kaum haltbaren Schuldzuweisungen an NATO/USA/Bundesregierung garnieren.
Als Reaktion auf den letzten Newsletter erreichte uns eine Reaktion, die eine etwas laxe Formulierung im Vorwort kritisierte, die im Zusammenhang mit dem Hinweis auf den bevorstehenden Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion im 2. Weltkrieg fiel. Von „Putin hin oder her“ ist da zu lesen, was der Leser als „eine schlimme Banalisierung eines Verbrechers, eines Tyrannen, eines Angriffskriegers, eines Kindsentführers, eines wahrscheinlichen Mordbeauftragers“ auffasste. Der Einschätzung Putins auch in diesen drastischen Formulierungen ist zuzustimmen, die (unglückliche) Formulierung sollte bloß einer anderen Relativierung begegnen, nämlich der der deutschen Verantwortung für den Krieg gegen die damalige Sowjetunion. Wir sehen, wie sensibel jede Äußerung und Formulierung in diesen Zeiten geworden ist. Und wie schwierig es manchmal sein kann, nicht missverstanden zu werden in Fragen, die uns alle sehr aufwühlen.
So verhält es sich auch mit einer zweiten kritisierten Aussage in der Ankündigung zu einer Veranstaltung mit dem Journalisten Daniel Alexander Schacht: Hier ist von den „Auswirkungen des Gaza-Krieges, den Israel nach dem Terror der Hamas vom 7. Oktober 2023 begonnen“ habe, die Rede. Diese Aussage sei „besonders furchtbar“, da „nicht Israel den Krieg begonnen“ habe, sondern die Regierung des Gazastreifens, die palästinensische Soldaten habe „in Israel einmarschieren lassen mit dem Ergebnis eines widerlichen Massakers an Zivilisten, Männern, Frauen, Kindern und Babies und der Entführung von Menschen, die bis heute“ anhalte.
Nun ließen sich akademische Betrachtungen darüber anstellen, wann wir von dem Beginn eines Krieges sprechen können. Das führt hier aber vermutlich nicht auf den Kern. Denn im Kern ist die Frage, ob hier eine Täter-Opfer-Umkehr vorgenommen wurde, ob zumindest eine Relativierung des grausamen Terrors der Hamas (oder eben: des Kriegsaktes der Hamas gegen Israel) durch die Reaktion Israels vorgenommen wird. Dies entspräche zumindest nicht der Position und Absicht des Antikriegshauses, ebensowenig der des u.E. dafür unverdächtigen Journalisten Dr. Schacht, der diese Ankündigung entworfen hat! Es ist dies vielleicht auch ein Beispiel dafür, wie der Versuch einer sachlichen Beschreibung eines Konflikt- und Kriegsverlaufs (und seiner Folgen) angesichts des Grauens von verschiedenen Seiten als ungenügend und in seiner Nüchternheit empathielos wirken kann.
Insofern ist es gut, wenn wir über diese Wahrnehmungen und Empfindungen miteinander ins Gespräch kommen. Und wenn wir dies in dem Bewusstsein tun, wie schwierig bereits das angemessene Sprechen und Schreiben über diese Ereignisse und Themen sein kann und uns dies jeweils zugutehalten. Denn wir brauchen sie, die Gespräche und Dialoge. Deshalb auch aufrichtigen Dank an den aufmerksamen Leser, der seine Kritik klar formuliert und uns Anlass zu einem noch sorgfältigeren Nachdenken auch auf weiteren Ebenen gegeben hat.
Elvin Hülser
Geschäftsführer des Antikriegshauses in Siervershausen