Weihnachten im Dunkel: Ein Frieden, der trägt
Die Uhr tickt in der stillen Wohnung. Für Lisa fühlt sich die Zeit wie ein zäher Brei an. Seit dem Unfall vor einem Jahr ist nichts mehr wie zuvor. Ihr Mann, ihre große Liebe, ist nicht mehr da – ein jäher Bruch, der ihr Leben in zwei Hälften geteilt hatte: Davor und Danach. Weihnachten? Das ist nur noch eine Erinnerung an glücklichere Zeiten.
Draußen hört sie Kinder lachen, irgendwo spielt jemand „Stille Nacht“ auf der Geige. Lisa schaut aus dem Fenster, sieht die Lichterketten an den Häusern, die leuchtenden Sterne. Es ist, als wollte die ganze Welt feiern – ohne sie.
Sie setzt sich auf das alte Sofa, zieht eine Decke um sich und schaltet den Fernseher ein. Nachrichten laufen: Krieg, Klimakatastrophe, Menschen auf der Flucht. Die Worte „Friede auf Erden“ aus der Weihnachtsgeschichte klingen wie Hohn. Frieden? Wo denn? In dieser chaotischen Welt? In ihrem zerrissenen Herzen?
Lisa schließt die Augen. Und dann ist da plötzlich ein Gedanke, fast wie eine Erinnerung. Sie sieht das Bild einer Krippe, wie sie es als Kind oft in der Kirche bewundert hat: das Baby in der Futterkrippe, die schlichten Hirten, das Licht eines Sterns, das durch die Nacht bricht. Die Geschichte hat sie damals beeindruckt, aber heute scheint sie weit weg – fast zu schön, um wahr zu sein.
Doch dann fragt sie sich: Warum kam Gott in einen Stall? Warum mitten in die Dunkelheit, mitten in die Kälte? Vielleicht genau deshalb – weil das Leben oft genauso aussieht. Zerbrochen. Hart. Verzweifelt. Vielleicht wollte Gott zeigen, dass er keine perfekte Welt braucht, um bei uns zu sein.
Lisa steht auf und sucht im Regal. Nach einiger Zeit hat sie gefunden, was sie sucht. Ganz in der Ecke steht sie – ihre alte Bibel, die sie zur Konfirmation geschenkt bekommen hat. Ihre Hände zittern, als sie sie aufschlägt. Die Worte aus Lukas 2 sind wie alte Freunde, die nach langer Zeit wieder zu Besuch kommen: „Und der Engel sprach: Fürchtet euch nicht! Denn siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird“ (Lukas 2,10).
Sie liest weiter. Die Hirten, einfache Menschen, die nichts hatten, wurden die ersten, die von diesem Frieden hörten. Es war kein Friede, der die Welt auf einen Schlag heil machte. Es war ein Friede, der in die Herzen kam. Ein Frieden, der trug – auch in der Dunkelheit.
Als sie zum Ende kommt, flüstert sie: „Friede auf Erden.“ Es fühlte sich noch brüchig an, aber es ist ein Anfang. In dieser Nacht spricht sie zum ersten Mal seit langer Zeit ein Gebet. Es ist einfach, fast unbeholfen, aber es kommt aus tiefstem Herzen: „Gott, wenn du wirklich Frieden bringst, dann zeig dich. Hier, in meinem Chaos.“
Weihnachten bedeutet nicht, dass alles plötzlich heil wird. Aber es bedeutet, dass Gott da ist – mitten im Zerbruch, mitten im Schmerz. Sein Friede ist nicht der Friede einer perfekten Welt, sondern der Friede, der uns trägt, wenn alles andere zusammenbricht.
Lisa spürt, wie sich etwas in ihr löst. Sie weint. Nicht, weil alles wieder gut ist, sondern weil sie sich zum ersten Mal seit langer Zeit nicht mehr allein fühlt. Weihnachten in ihrem zerbrochenen Leben – Gott ist da, und er bleibt.
In dieser Nacht macht Lisa das Licht am Weihnachtsbaum an. Es ist ein kleines Licht, aber es reicht, um die Dunkelheit zu durchbrechen. Und das ist genug.
Gesegnete Weihnachten!
Ihre Sabine Preuschoff
Superintendentin des Ev.-luth. Kirchenkreises Burgdorf