Mit Leib und Seele bei der Sache sein
Vor einigen Jahren ging eine Meldung durch die Presse: „Weil einer der Papageien des Zoos von Los Angeles besonders unflätige Reden hielt, musste er aus dem Garten entfernt werden. Der unartige Vogel war das testamentarische Geschenk einer Dame, die bis zu ihrem Tod Unterricht in Anstand und guten Sitten gegeben hatte.“ Mir kommt diese amüsante Zeitungsnotiz immer dann in den Sinn, wenn ich in einer Situation den Eindruck habe, hier klaffen Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander; hier gibt jemand anderen gute Ratschläge, an die er oder sie sich selbst nicht hält. Das Paradebeispiel Jesu für eine solche Diskrepanz zwischen Wort und Tat zwischen Innen und Außen sind die Schriftgelehrten: Ihre langen Gebete wirken scheinheilig, wenn man auch ihre Habgier kennt. Ihr Anspruch ein frommes und vorbildliches Leben zu führen, passt nicht zu ihrem Geltungsdrang. Im Evangelium bildet ihr widersprüchliches Verhalten den Kontrast zum Handeln der armen Witwe, die nur eine kleine Münze opfern kann, aber damit mehr gibt, als so mancher Reiche. Sie wird den Jüngern als Vorbild hingestellt: Denn ihre Gabe kommt von Herzen. Ihr Beispiel wirkt echt und überzeugend und zeugt von Gottvertrauen.
Es besteht eine Harmonie zwischen ihrem Denken, Fühlen und Tun. Wenn wir das von einem Menschen sagen wollen, dann benutzen wir gerne den Ausdruck: Er oder Sie ist mit Leib und Seele bei der Sache! Und genau darin sehe ich den Impuls der beiden Szenen im Evangelium. Sowohl das negative Beispiel der Schriftgelehrten, die sich über die kleine Spende lustig machen, als auch das positive Beispiel der Witwe will uns provozieren und ermutigen zu einem Glauben und Christsein mit Leib und Seele. Denn das ist der Maßstab, an dem man uns als einzelne Christen, als Gemeinde und als Kirche misst: Ob wir mit Leib und Seele bei unserer Sache sind, bei der Sache Jesu, bei der Frohen Botschaft, die er uns gebracht hat. Davon hängt unsere Überzeugungskraft ab, ob wir das auch leben, was wir Herzen glauben und wovon wir reden; ob man uns ansieht, dass wir uns als erlöste und befreite Menschen verstehen und fühlen. Man könnte das afrikanische Sprichwort „Wenn viele kleine Leute an vielen kleinen Orten viele kleine Schritte tun - dann verwandelt sich das Antlitz der Erde.“ auch so formulieren: „Wenn viele Christen in vielen Gemeinden viele Versuche machen ihren Glauben mit Leib und Seele zu leben - dann verwandelt sich das Antlitz der Kirche.“ Es bekommt dann immer mehr die Züge der armen Witwe aus dem Evangelium, deren Opferbereitschaft tief und echt war. Und es verliert immer mehr die Züge der alten Dame aus Los Angeles deren Anstandsunterricht alles andere als überzeugend gewesen sein muss, wie ihr unflätiger Papagei lautstark bewiesen hat.
Franz Kurth, Pfarrer der kath. Pfarrgemeinden St. Martin Hannover, St. Bernward Lehrte und St. Nikolaus Burgdorf.